Sonntag, 15. November 2015

Rasende Wolken, und immer, immer scheint die Sonne drüben aufs andere Ufer.

Auf dem Hügel über der Stadt steht eine Bank, die trägt den Namen eines Mannes, über den ich nichts weiß als daß er nicht alt geworden ist. Ich setze mich. Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Der Weg zurück ins Tal verläuft sich an einem Bachbett. Links und rechts liegen aufgelassene Gärten, von Mauerstein bis Walnußbaum mit Moos überwachsen, wie unter Wasser so grün, und mit Tauperlen besetzt. Zwischen ledrigen Nußbaumblättern finde ich noch eine Handvoll Nüsse.

Unten am Fluß stürzt sich eine Bö in einen Haufen Platanenlaub. Das erhebt sich und wirbelt die Promenade entlang wie ein wollendes Geschöpf. Spaziergänger bleiben schon halb beunruhigt stehen, da läßt der Wind sein Spielzeug los, und das Heranstürmen zerfällt in tote Blätter.

Zwei sitzen auf einer Bank am Gleis, wortlos umschlungen, allein mit sich und einer Traurigkeit: ein Abschied? Ich halte unwillkürlich Abstand, gehe leiser, als seien sie Kranke, die Ruhe brauchen. Vielleicht kann die Zeit, vielleicht können sie sich gegenseitig heilen.

Am Ende doch noch Sonne, wie im Frühling.





Montag, 9. November 2015

Wieder eine Kaffeetafel, 2015: Jahr der Kaffeetafeln, Verwandte und Verschwägerte bis auf einen; den halte ich im Auge und bin in diesem Moment selbst nur noch halb Teil der Sippe.

Herrje.

Daß die eigene Familie immer die schlimmste ist, die Familien anderer aber alle ganz umgänglich.

Der Irrglaube, man könne anderen die Verrücktheiten der eigenen Sippe erklären. Erzählen ja, erklären nein.

Derweil ein Wetter eine wie eine Projektion der Watte in meinem Kopf. Den Blumen ist auch schon ganz welk zumut.





Mittwoch, 21. Oktober 2015

Gibt Städte, da legt der Finder im Schacht vergessenes Wechselgeld sogfältig oben auf den Automaten, ehe er sich selbst einen Parkschein zieht. Vermutlich ist auch viel über einen Ort zu sagen anhand dessen, was da in den Fundbüroregalen auf rechtmäßige Inbesitznahme wartet.

Kleine Freundlichkeiten, die für sich genommen die Welt nicht bewegen, sie aber heller machen. Mich entzückt so etwas: der Passant, der an einer Traube geparkter Fahrräder vorüberschlendert, umkehrt, bei einem Rad das brennende Rücklicht ausknipst und seinen Weg fortsetzt. Eine Kundin, die im Gemüseladen einer anderen mit Kleingeld aushilft, neinnein, nehmen Sie nur, das ist doch selbstverständlich. Menschen, die etwas für Unbekannte tun, ohne sich einen Vorteil zu erwarten: unberechenbar.

(Natürlich gibt es auch andere, wie den Dieb, der die Bücher auskippte, mitsamt dem Schild "zu verschenken", und den Pappkarton mitnahm. Da weiß man dann auch nicht so recht.)





Mittwoch, 14. Oktober 2015

Die Künstlerbude wächst an und in der Scheune des einsamen Gehöfts am Wald, in einer Talfalte im hügeligen Pfälzer Hinterland. Sie wird – Jahr für Jahr kommt etwas hinzu, im Eigenbau, aus Geschenktem und Gefundenem: das Bad im Silo, kreisrund und durch den Garten zu erreichen; die Küche ohne Dach, aber mit Walnußbaum und Feuerstelle, stets unter Beobachtung der Hühner im Gehege; der Schlafplatz in der Höhe, die Arbeitsplätze, die Ausstellungshalle mit den riesigen Fenstern.

Großes Willkommensein. Friedliches: Tomaten aus dem Garten, das herunterbrennende Feuer, die Gesichter der Gäste im Gespräch oder im Schein ihrer mobilen Bildschirme. Wir folgen einer Art Gravitation; mal sammeln sich alle um das Feuer oder einen Tisch, mal zerstreuen wir uns, allein oder in Grüppchen. Die Gastgeber immer unter uns. Ideen sprühen, wachsen, werden gesät für später. Kleine Zuneigungen, große Pläne, Staunen, Lachen.

Hier finde ich die ersten eßbaren Nüsse des Herbstes; an diesen Ort werde ich denken als den letzten ganz sommerlichen dieses Jahrs, als einen Garten, in dem Menschen gedeihen. Er mag schlecht heizbar sein und provisorisch, aber hier hat etwas seinen Platz, das es nur so mag, nur unfertig. Ob das Glück ist oder Liebe oder Kunst, da möchte ich mich nicht festlegen. Von allem etwas. Ein Schatz.





Ich kann gut alleine sein ist nicht gleich ich bin gern allein. Manchmal: ich komm schon klar. Manchmal: laß mich in Ruhe.

Im Gespräch ist der ferne, vage Plan meist: wenn ich (irgendwann; vielleicht) jemanden gefunden habe ...; niemand scheint damit zu rechnen, allein zu bleiben. Vielleicht will man sich nicht öffentlich begnügen, sich nicht für einen hoffnungslosen Fall halten.

Alleinsein lernt sich anscheinend leichter, wenn man die Rahmenbedingungen in der Hand hat. Oder zumindest Gründe weiß.

Man wächst ins Alleinsein hinein; irgendwann ist es ein bequemes Gehäuse, aus dem man nur mehr schwer herausfindet. Im Tausch: das Gefühl, allein nicht richtig zu sein in einer Welt der Eingebundenen. Eine Grundsehnsucht.

Letztlich wohl Sehnsucht nach: gesehen werden. Berührt werden. Zwei Verben im Passiv, wo Alleinsein sonst überall Aktiv verlangt.

Ich verspüre wenig Neigung (und habe sicher kein Talent), Menschen vom Alleinsein zu befreien, deren Art zu leben das nun eben ist. Alleinsein braucht keine Rechtfertigung, finde ich. Sehnsucht auch nicht.





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