Das Dach des Schirms hätte sie mir fast verborgen, aber ihr vielstimmiges Schrillen zog meinen Blick in die Höhe. Während ich ihre kreiselnden Silhouetten zwischen den Wolkenschleiern verfolgte, nahm ich feierlich eine Mütze Regen: die Mauersegler, sie sind wieder hier.
Das spätlateinische Wort für arbeiten, trepaliare (frz. travailler, span. trabajar), stammt vom trepalium, einer Vorrichtung aus drei Pfählen, an die Sklaven zur Strafe gekettet wurden.
In meinen ersten Lebensjahrzehnten habe ich hübsche Notizbüchlein gekauft und gehortet, ohne je etwas hineinzuschreiben; ich hatte ein gutes Gedächtnis. Die kann ich in den kommenden Jahren aufbrauchen.
Eine Schwalbe habe ich gesehen, die stemmte sich überm Fluß gegen den Wind. Die Mauersegler lassen auf sich warten.
Die Apotheke um die Ecke: vor ein paar Jahren feierte sie 250-jähriges Bestehen, Ende letzten Jahres machte sie zu; man finde keinen Nachfolger, sagte der Chef, der die Ablöse bezahlen wolle für ein zwar traditionsreiches, doch heutzutage unsicheres Geschäft. Nun steht der Laden, als wäre ewiges Wochenende, Staub setzt sich, die Deko in den Schaufenstern wird blasser, die Lichter bleiben aus. Vielleicht wird in 250 Jahren hier jemand aufschließen und ein Museum unserer heutigen Vorstellungen von Gesundheit und Wohlergehen vorfinden.
Ich weiß nicht; gibt es dieses Jahr weniger Vögel, oder werde ich tauber?
Das Regal voller geschenkter Gläser, alle fünfzehn Jahre alt und älter: Apfel und Kiwi, Erdbeer 2004, Pflaume-Zimt oder Pampelmuse; ungeöffnet, manche noch mit einem Stoffhäubchen auf dem Deckel oder Schleife – ich werde sie nicht mehr essen, nicht mal die, die vielleicht noch brauchbar sind. Ich werde sie nicht einmal mehr aufmachen. Von jetzt an geht jede Woche der Hausmüllsack ein bißchen schwerer in die Tonne, mit einem süßen Herzen aus alter Marmelade.
(Ich möchte nicht sein wie R, der in einem Schrank in seinem Büro sämtliche Werbeblättchen stapelte und alle Bäckertüten, die er auf seinen Wegen zur Arbeit kaufte.)
Die Konditorei ist winzig, Meister C steht in der Backstube, Frau C macht Verkauf und Café. Selbst wenn die Tische alle voll besetzt wären, wären’s keine zwanzig Gäste; und jetzt, na, müssen wir nicht von reden.
Es ist schon ein paar Jahre her, daß Frau C erzählte, ihr Mann mache ja alles alleine, aber nun kriegten sie ein Lehrmädchen. Ausnahmsweise. Früher waren sie Ausbildungsbetrieb, immer zweidrei Lehrlinge; das sei vorbei. Und nun: Lehrmädchen. Einmal noch, vor der Rente.
Das Lehrmädchen bekam ich nie zu Gesicht. Aber es standen auf einmal andere Torten in der Vitrine, nicht gar so routiniert gebaut, geschmackliche Volltreffer. Löffelbisquits kommen in der Prüfung dran, das muß sie jetzt üben, sagte Frau C, und ich freute mich wochenlang an dem immer hübscher werdenden Zuckerzeug.
Ihr Lehrmädchen ist begabt, bemerkte ich einmal – und erntete Schweigen. Backen kann sie, räumte Frau C schließlich ein, aber (raunend) sie ist nicht belastbar. Fix und fertig, und die Arbeit ist erst halb getan. Die jungen Leute … Aha, sagte ich und ließ mir noch eine etwas schiefe Orangenschnitte einpacken.
Nächsten Monat macht sie Abschluß, bekam ich irgendwann erzählt. Der Meister selbst kam aus der Backstube, um bedenklich den Kopf zu wiegen: Na, das wird was! – Ich kaufte gleich drei Tütchen Mini-Florentiner, vorsichtshalber.
Ein paar Wochen später wollte ich’s dann wissen: Und? Hat sie bestanden? – Mit Eins, hieß es knapp. – Ach! Und wie geht’s jetzt weiter? – Gar nicht. Sie geht jetzt studieren, Medizin; das war ja klar, der Vater Chefarzt …
Seither gibt es keine interessanten Torten mehr, und auch keine Zimtschnecken und keine Geschichten. Das Lehrmädchen kommt nur mehr als Nichterwähnung vor: Nein, Löffelbisquits haben wir nicht. Die Zeit hat er gar nicht, er macht ja alles alleine.
Wo ich denn sei, fragt M. Und wann er wieder von mir lese.
So viele Geschichten: immer wieder Bruchstücke der sehr gescheckten Familienhistorie; was Kinder halt so interessant finden. Halb zugehört, nicht mal halb verstanden, dreiviertel vergessen, und jetzt wüßte ich gern mehr.
Die wunderschöne, wahre, die eine Mitbloggerin in knappen Worten niederschrieb; später schlug sie, hab ich den Verdacht, in einer angeeigneten Version gewaltig Wellen, die sich dann gewaltig überschlugen: Salz und Blut. Heute weiß das Netz nur die erlogene noch.
Die mir unbegreifliche, wie aus einer ganz anderen, gern gelesenen Mitbloggerin eine Verschwörungsgläubige wurde; ich weiß zu wenig von ihrem Leben, um zu verstehen, wie das kam, und bin fassungslos, was sie seit einem Jahr von sich gibt. Ich habe, und das mache ich nicht mal bei Toten, den Link zu ihr aus meinem Blogverzeichnis gelöscht.
Die, in der wir grade alle stecken. Aber die ist ja noch nicht fertig.
Irgendwann wieder, ja?
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