Sonntag, 2. September 2018

Und diese Kapellen und Kapellchen an den Wegrändern und Weingärten. In vielen standen mal alte, wertvolle Heiligenbilder, die sind lange weggekommen und durch spätere Massenware ersetzt; aber geehrt werden sie, alle. Man sieht es an Blumen und Kerzen, an den gefegten Vorplätzen, den sorgsam nachgepinselten Blutrinnsalen auf dem Torso des Heilands. Inzwischen sind sie oft beschildert, weil nicht mehr jeder Wanderer weiß, wozu das gut sein soll und sonst vielleicht sein Picknick darauf abhält.

Zweidreimal bleibe ich stehen, wo nichts weiter als fünf hellere Steine in Kreuzform in die Mauer gesetzt sind, mit einem Sims davor für Blumenschmuck vielleicht; andere Male stehe ich verwundert vor proppenvollen Altären mit LED-Kerzen und Votivgaben von ungelenk bis industriegefertigt: Maria hat geholfen; Maria hilft immer; Danke, Maria.

Dazwischen entdecke ich kitschige Engel-auf-Herz-Ensembles aus dem Baumarkt-Dekoregal, manche mit salbungsvollen Schmuckaufschriften: "Ein Engel ist jemand, der dir in der dunklen Nacht einen Stern schenkt", "Liebe ist das einzige, was mehr wird, wenn man es weitergibt".

"Jajaja. Ein Loch ist das einzige, was größer wird, wenn man etwas davon wegnimmt", sagt M, der meine Abneigung gegen derlei Sprüche teilt. "Pfannenfertig" nannte Blogkollegin SoSo derlei Weisheiten mal.

Da ist eine Sehnsucht, so ein deutlich verspürtes Loch in der Seele, und das wird neuerdings mit Gipsgußgeist made in Fernost gestopft? Ich weiß nicht, kann das gehen? Ich weiß nicht mal, ob ich, der Frömmigkeit fremd ist, mir ein Urteil erlauben darf; ich kann ja nur darüber staunen.

M hinwiederum wundert sich über mich. Ich bleibe vor jedem Wegkreuz stehen und versuche seine Aufschrift zu entziffern, ich spähe in jedes Heiligenhäuschen und krame in meinem Hirn nach der zugehörigen Legende. Mich rührt der Ausdruck tiefer Gläubigkeit, auch wenn ich mich ein bißchen schlecht fühle beim Zuschauen.

Letztlich ist es wohl die Macht der Geschichten, die mich fasziniert. Menschennöte, über Jahrhunderte in Handlungen und Bildern geronnen; der Trost durchs Immer-wieder-Gleiche. Die universelle Sehnsucht der Menschen nach etwas über ihnen, und wie sie über die Zeiten Ausdruck fand und findet. Daß da den Leuten etwas heilig ist.





Meinen Wanderhut habe ich auf Empfehlung von E gekauft. E kann man fragen, er hat den Überblick über den Markt und kennt den Stand der Technik. Selber hat E lauter atemberaubend funktionale Dinge, allesamt arktissicher, erdbebenfest und haltbar bis in die Ewigkeit. Das Beste vom Besten.

So nun auch mein Hut: gut belüftet, reißfest, sogar schwimmen kann er. Ich paddle damit zwar nicht auf dem Amazonas, aber er krönt mein Ensemble aus Jeans und löchrigem T-Shirt, und auf den Feldwegen der deutschen Mittelgebirgslandschaften schützt er mich verläßlich vor Sonnenbrand auf der Nase.





Freitag, 24. August 2018

Auf dem Weinmarkt in M., sagen die Einheimischen, regnet es immer, wohingegen auf dem Weinfest von W., auf der falschen Flußseite, immer die Sonne scheint. Na, sagen wir, dieses Jahr ist Regen so gut wie ausgeschlossen, und begeben uns in den Stadtpark zu den Buden und Bühnen.

Man muß viel Volks abkönnen auf einem solchen Fest, aber die umgänglichen Leute in M. machen's uns leicht. Der Rasen ist zundertrocken, auf jeder halbwegs ebenen Fläche stehen Bierzeltgarnituren, und es herrscht freundliches Gesumm unter den alten Bäumen. Im Westen ist der Himmel schwarz.

Mit Einbruch der Dunkelheit stellen wir uns an den Parkrand, der Blick reicht weit. Nördlich beleuchtet der Sonnenuntergang Kumuluswolken, eine Aufführung für Stratosphärengäste. Plötzlich schwankt die Luft, dann fährt ein Wind in die Baumkronen und zaust ihnen die trockenen Blätter aus; die wirbelt er hinaus, hinüber Richtung Fluß, und während ich in den Himmel schaue, trudeln unendlich viele Lindensamen an ihren hellen Segelblättern vorüber, propellern in die Dämmerung. Dann fallen die ersten Tropfen.

Seither sind die Nächte kühler und merklich länger.





Donnerstag, 23. August 2018

Ich schätze auch beim Häkeln die Überschaubarkeit, die Abwechslung, den schnellen Abschluß.

Immer ist etwas übrig. Zu etwas Ganzem reicht es nicht, also noch etwas dazu, und dann machen zwei Teile ein Ganzes, und etwas ist übrig: ein Teufelskreis.

Meine Art Resteverwertung gestattet mir, etwa zarte Blütenblatt- und Speiseeisfarben mit Stadtreinigungsorange zu kombinieren; das macht mir Freude. Abbildung echter Welt in Wolle.

 

  Und was machst du mit dem ganzen Zeug?
  Hm. Weihnachten?





Sonntag, 19. August 2018

R ist da, aus England, mit T, seiner britischen Frau. Ihn kenne ich seit Ewigkeiten, sie fast gar nicht, und wir haben uns seit Jahren nicht gesehen.

Wie schön, sagt R, daß deine Telefonnummer sich nie ändert. Er ist dünner geworden und vielleicht etwas grauer. Für seinen Beruf muß er viel reisen, wochenlang, auf sämtliche Kontinente. Jetzt sind T und er für ein Wochenende bei Rs Eltern auf dem Dorf.

Ah, that's life, seufzt T, als wir im Getümmel der Innenstadt Kaffee trinken. What a beautiful place. Sie setzt die Sonnenbrille auf. Morgen geht es weiter nach Berlin, sie freut sich darauf; auf die englischsprachige Subkultur dort.

Später erzählt R mir, daß T davon träumt, sich in Europa niederzulassen. Italien vielleicht, oder vielleicht doch Deutschland. Ruhig auf dem Lande, nahe einer Metropole, Hauptsache dicht an einem internationalen Flughafen. R hebt die Schultern. Sein Telefon klingelt, die Arbeit. Ich mag sein Englisch, dem man sein Heimatdorf anhört. T berichtet von dem Hoffest, zu dem sie spontan eingeladen wurde (just as in my student days!); sie entschuldigt sich, daß sie immer noch kein Deutsch kann. Über Politik reden wir nicht.

R könnte deutlich mehr verdienen, sagt er. Er scheint schuldbewußt, daß er zufrieden ist. Eigentlich, sagt er, lebe er über seine Verhältnisse ...

Wir verabschieden uns. T ist angenehm zu umarmen. Let's get together in December! Sie hat beschlossen, Weihnachten nicht bei ihrem hochbetagten Vater zu verbringen, sondern bei Rs Familie. Auch wenn die es nicht schätzt, daß die Schwiegertochter katholisch ist. You know how it is; aber nein, das weiß ich nicht.

Die zwei verschwinden im Gewühle auf dem Marktplatz. Ich nehme an, man müßte sie, daß sie zur Ruhe kämen, niederschlagen.





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