Um mich herum trennt man sich, wird krank auf den Tod, verliert Lebensgrundlagen, muß schlimme Entscheidungen treffen, und ich? Mir geht die Waschmaschine kaputt.
Hab ich's gut.
Daß in jedem Reiseführer zu den "wichtigsten Floskeln und Redewendungen in der Landessprache" immer auch Ich liebe dich zählt.
R wird gehen, das steht nun fest.
Am Anfang, sagt U, war er wütend. Diese Ausfälle. Wie kann der kluge, witzige Mensch, den man dreißig Jahre kennt, plötzlich das Ausräumen des Geschirrs in der Teeküche nicht mehr auf die Kette kriegen? Überfordert sein von einer Spülmaschine? Von Akten? Von Gesprächen? Die Diagnose brachte Klarheit. Alles paßt zusammen, nur das Alter nicht.
Jeden Tag kommt R ins Büro; man merkt erst mal nichts, wenn man nicht länger mit ihm zu tun hat. U wird den Freund und Kompagnon nicht vor die Tür setzen. Das bringt er nicht; arbeitet er halt für zwei ...
R wird verschwinden, unkenntlich werden, fremd im eigenen Leben, und irgendwann wird er fort sein.
Mit schwerem Herzen denke ich an U.
Das Autohaus, in das mein Vater vor über vierzig Jahren seinen Wagen zur Inspektion brachte, gibt es noch, mitten im Ort; das verrät ein Wegweiser an der Hauptstraße. Ein Name ist vom Firmenschild verschwunden, dafür eine Marke hinzugekommen. Ich wüßte den Weg noch auswendig. Umweg?, fragt M. Nein, will ich nicht. Ich will nicht, daß es anders aussieht, anders riecht, als ich es in Erinnerung habe.
Aschenbach, denke ich. Mindestens sechzig, gekleidet wie zwanzig, Haupt- und Barthaar gefärbt. Braune Lederjacke mit Aufnähern, die Jeans hat dicht an dicht Querschlitze in den Hosenbeinen, von der Leiste bis zu den Turnschuhen. Mir zieht sich alles zusammen beim Anblick des mit künstlich gealterter Kleidung künstlich verjüngten Menschen. Ich möchte mal Schwarz, vernünftiges Schuhwerk, zwei Brillen und, für gut, kunstvolle Dreiecksschals und roten Ohrring; aber hat man wirklich die Wahl?
Die Kleine ist stolz, daß sie ihre Sommer nicht mehr an einer Hand abzählen kann. So alt schon! Und in zwölf Jahren, sagt sie, als wär's ein Klacks, bin ich achtzehn und ziehe aus.
Die Wettervorhersage irrt zu unseren Gunsten. Himmelfahrt, Schwarzdrossel und Zaunkönig, und nur ganz am Ende Halsweh.
Einen schönen Sommer wünsche ich uns allen.
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