Mit Katzenohrenmütze und schwarzem Nagellack ist M eine höchst modebewußte Erscheinung. Die Streublümchenjacke ist ganz neu; wir bewundern das glänzende Innenfutter.
M scheint es nichts auszumachen, mit so vielen älteren Herrschaften unterwegs zu sein. Wir amüsieren uns prächtig; M interessiert sich für Sprachen, fürs Kochen und für Bücher (und so höflich: Neil Gaiman, nein, nie gehört, da bin ich wohl nicht ganz up-to-date).
Ich bin entzückt. Mich freuen Ms Perlenohrringe und Haarspängelchen und die Geschichten vom Studium als Tiefbauingenieur. Er ist ein sehr junger Absolvent, gerade mal zwanzig, und wird es, stelle ich mir vor, weit bringen.
Die jungen Leute, denke ich, sind vorangekommen. Die Androgynen waren in meinem Jahrgang, und auch viele Jahre später, nicht die Selbstbewußten, die sich das trauten.
(H, auch eher mein Jahrgang, meint verblüfft über M: Viel zu nett für sein Alter!)
T würde gern umziehen. Seit Jahren ist er Mieter einer winzigen Wohnung unterm Dach, in einer Seitenstraße ohne Attraktionen. Die Wohnung hat ihre Macken, und der Paketbote steigt selten in den sechsten Stock. Dafür lebt und arbeitet T mitten in der Stadt.
Nun hat der Vermieter die Miete erhöht, einfach weil er es kann. Zugige Fenster, unzuverlässige Heizung, egal. T liest also jetzt den Immobilienteil der Tageszeitung und hört sich um.
Es sieht nicht gut aus. Mieten ab elf Euro pro Quadratmeter, kalt, an den Ausfallstraßen. T kann als Schriftsteller von seiner Arbeit leben; eine Wohnung in der Stadt jedoch gehört inzwischen, scheint's, zu den großen Sprüngen.
Was nun? Aufs Land ziehen, ein Auto anschaffen? Keine Läden mehr, kein Theater, jedes Treffen planen? Oder aber für eine Bruchbude immer mehr Miete zahlen?
Ich wüßte gern, was die Stadt eigentlich für Bewohner haben möchte.
C wohnt jetzt allein. Seine Frau hat ihn verlassen. Er hatte eine Affäre, mehrere Jahre lang; als es herauskam, hat sie ihre Sachen gepackt und die beiden Jungs mitgenommen. Sie leben jetzt einen Ort weiter. Besuche müssen geregelt, Besitz und Verpflichtungen auseinanderdividiert werden, der ganze Rattenschwanz.
Über Bs Ehe wußte ich nur, daß sie unglücklich gewesen sein muß. Pedantisch und empfindlich sei ihr Mann gewesen; fremd und seltsam erschien er seinen Enkeln. B hat ihn um knapp dreißig Jahre überlebt, schweigsam, Kreuzworträtsel gelöst und zu Weihnachten allen Socken gestrickt.
Beim Ausräumen ihres Hauses fanden wir ein Nachkriegsbuch über Demokratie und politische Verantwortung. Auf dem ersten Blatt stand, voller Wünsche und Hoffnung, Meiner geliebten B, kurz nach der Heirat gewidmet von ihrem Mann. Ob sie das je gelesen hat? Keiner wußte es; keiner glaubte es.
Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; irgendwann gibt er nämlich auf.
Cs Ex-Frau ist dann durchs ganze Dorf gelaufen, hat bei allen Freunden und Bekannten über C hergezogen und gnadenlose Rache geschworen, persönlich wie finanziell, denn es sei zweifelsfrei klar, wer schuld ist. Und jetzt heißt es: C hat ja Mist gebaut, aber da kann er froh sein, daß er die Frau los ist, der Arme.
– Dabei ist es einfach, eine gute Ehe zu führen. – So? Und wie geht das? – Es müssen nur beide wollen!
Nach einigen Partysommern in der Annahme, man könnte womöglich nach vorne raus ruhiger schlafen als zum Innenhof, schließlich die Zimmer mit Schränken, Regalen, Betten, Büchern vertauscht, um nun jeden Abend zumindest ein paar Schritte in Richtung des verkehrten Raums zu machen.
Zu einer Idee von Ulli (Café Weltenall).
Gut, daß ich den schwarzen Schal angeschafft habe.
Ich mag Dorfbeerdigungen, auch wenn ich sie natürlich immer von außen betrachte, lieber als das verlegene Hüsteln, das eilige Auseinanderstreben in der Stadt. Ich bekomme, wie viele andere, keinen Platz mehr in der Kapelle; auf der Rückfahrt riecht es im Auto nach Erde, und das gefällt mir dann auch sehr.
Wenn das Jahr mit einem Begräbnis anfängt, kann's wohl nur besser werden.
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