Mittwoch, 16. Februar 2022

Meinen gewisperten Namen als Hilferuf verstehen und mich auf die Bettkante setzen ist eins, noch ehe ich wach bin. Was ich tun kann, ist wenig: Hand halten. Irgendwas sagen. Bis der Herzschlag ruhiger geht, bis die Nacht wieder Nacht ist und nicht mehr Fels auf der Brust.

Wie schmal der Grat ist; und wie mächtig eine Berührung. Trost und Betrübnis in einem.





Freitag, 4. Februar 2022

Durch die Gegend meiner ersten ausgedehnten Wanderungen werden Schneisen geschlagen. Zwar verläuft die neue Autobahn anderswo; aber das hier werden ihre Zubringer. Meine Mutter, noch Bauernkind genug, hätte den Kopf geschüttelt: So viel Land …!

Meine Abneigung gegen Zeit am Steuer ist körperlich; vorher tagelang Magendrücken, hinterher komplett erschlagen. Laune: schweigen wir davon. Das war schon in der Fahrschule so – ins Auto steigen mit Locken, ohne wieder raus.

Und falls heute jemand hinter mir in sein Lenkrad gebissen haben sollte: Nein, tut mir wirklich nicht leid. Ich hatte zu tun: aus einem 5,3-Liter- einen 5,1-Liter-Kleinwagen machen.





Montag, 24. Januar 2022

T schaut sich gern im Internet Reaction videos an: Leute filmen sich, wie sie Musik hören, die sie vorher nicht kannten. So ist T auf August Schram und die Videos von Little Big gestoßen, das hat sich schon mal gelohnt; aber, sagt er, früher, da hätt's das nicht gegeben. Freiwillig oder unfreiwillig: Alle hörten dasselbe Radio, sahen dieselben Sendungen mit denselben Starauftritten, summten die Top Ten mit.

Beim Fernsehen war es noch extremer. Wer die Vorabendserien nicht gesehen hatte, konnte auf dem Schulhof nicht mitreden. Ob man es nun mochte oder nicht: man kannte das Programm, schließlich gab es nur eines für die ganze Familie.

So hatte sich T als Halbwüchsiger Sachen angeschaut, erst aus Langeweile, dann, weil's ihn gepackt hatte: Kunst- und Dokumentarfilme, Klassiker, Oper, Theater, Stummfilme, alles. Einmal schaute er sich abends Solaris von Tarkowskij an, und seine Oma, häkelnd und ketterauchend und mit dem Opa schimpfend, guckte mit; irgendwann kritisierte sie: Ei, is des awwer dunkel, des is jo wie beim Fassbinder!

Die Vereinzelung des Medienerlebnisses, das immer feinere Aufspalten in Nischen und Ritzen, das kam mit dem Netz. Der gemeinsame Boden ist weg, sagt T. Das letzte, über das sich wirklich alle unterhalten können, ist das Wetter; und sogar das hat jetzt, je nach dem, wen man fragt, verschiedene Ursachen.





Mittwoch, 22. Dezember 2021

Im Ginkgo hinterm Haus hängt ein Meisenknödel, und den besucht jeden Tag ein Team aus Schwarzdrossel und Specht.

Der Specht hängt am Netz und pickt und bohrt die interessanten Dinge aus dem Fett; unten im Gras sammelt die Schwarzdrossel auf, was der Specht fallen läßt.

Man kann den Specht von allen Seiten betrachten, er hängt da wie ein Weihnachtsornament: weiße Brust, schwarzes Käppchen, rote Pluderhosen. Die Schwarzdrossel am Boden, ein Männchen, ist einfach nur schwarz; ich weiß aber, daß sie goldene Ringe um die Augen trägt.

Ob sich die beiden näher bekannt sind?





Mittwoch, 15. Dezember 2021

Ich habe den ersten Schnee gesehen: um das Dichtungsgummi herum an einer Windschutzscheibe; das Auto kam von außerhalb. Anders hat er's noch nicht in meine Stadt geschafft.

Die schönste Viertelstunde des Tages war die, die ich auf T warten mußte, weil der kleine Schuster mich versetzt und ich die besohlten Schuhe doch nicht hatte holen können: in einer windgeschützten Nische am Theater durfte ich im Sonnenschein lehnen, die Augen zu wie eine Katze. Als T dann kam, verschwand eben die Sonne – es ist halt nur für einen von uns Platz.

(Der kleine Schuster ist ein Schluri. So sehr, daß kürzlich ein meterhohes Plakat im Fenster des Ladens hing: er werde nun wirklich pünktlich und zuverlässig arbeiten und habe auch wieder verläßliche Öffnungszeiten; die gedruckte Entsprechung einer vorbehaltlosen Entschuldigung. Klappt so naja. Ich mag ihn trotzdem; und die Schuhe macht er, wenn er sie denn macht, tiptop.)

Noch ein schönes Schild, dieses außen am kleinen Café, in Schreibschrift: Nur Filterkaffee to go!





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