Es fängt, wie manches Unglück, an mit einem Schnupfen. Der ist hartnäckig, eigentlich immer da, nicht mal Antibiotika können ihm was; meist hält er sich im Hintergrund. Dann aber: wumms, halbe Nase zu, dann Druck im Schädel, Schmerz bei Wind, dann: Ohr dicht, voller Rauschen oder Dröhnen. Was durchdringt, klingt häßlich, verspätet, tiefer oder höher als der Rest. Musik macht überhaupt keinen Spaß, Gespräche auch nicht, Telefonieren tut weh. Schlimmer noch: der Wecker piept umsonst, die Orientierung im Raum ist dahin, jeder Wortwechsel schlingert um "Was?"
Im Wartezimmer hängen seltsame Drucke an der Wand von halbtransparenten Wesen in Gürteln und Stricken. Ja, rechts schlechter, nein, nichts zu sehen, weiß man nicht, müssen wir beobachten.
Ich kenne das, irgendwann geht's auch wieder, nur nie mehr so gut wie vorher. Einstweilen schlafe ich viel.
Die Medizin, bemerkt H, ist keine exakte Wissenschaft; und dann geht die Stocherei los.
(Abgrundtief keine Lust.)
T und ich wollen uns eben verabschieden, da stürmt brüllend ein Mann über den Marktplatz und auf uns zu, schimpft, daß der Speichel sprüht, ein Kruzifix in der Faust. T knurrt ihn an, er möge Abstand halten; das entfacht seine Wut erst richtig. Er fuchtelt mit dem Kreuz vor T herum, schreit und kreischt, ehe er weiterrennt. Wir sind verdattert; was war denn das? Italienisch? Wir haben kein Wort verstanden.
Eine kleine alte Frau mit Rollator bleibt bei uns stehen und erklärt entrüstet in breitestem Dialekt: so was hätt kein anständiger Mensch gesagt, was der gesagt hat; ihr Mann selig wär auch Piemonteser gewesen, das wär ihm nicht über die Lippen gegangen, so eine Schande … Im selben Moment rangiert ein LKW gleich neben uns, der Dieselmotor übertönt, was die Frau uns gerade wohlmeinend übersetzt, wir nicken freundlich und machen uns aus dem Staub.
Nun, wo er sowohl vor den Flüchen selbst als auch vor ihrer Übersetzung bewahrt geblieben ist, meint T, was soll jetzt noch passieren?, geht zur Post und schickt endlich sein Manuskript an die Agentur.
Ich hatte mal einen Brieffreund, der ging auf die Götheschule. Stellte sich raus, daß er natürlich wußte, wie man Goethe buchstabiert – die Schule hieß aber nach Johann Friedrich Nilsson Eosander von Göthe, Baumeister des Barock und natürlich immer, immer verwechselt mit dem –. Eine Geschichte, in der es eigentlich nur Verlierer geben konnte; die Brieffreundschaft hat dann auch nicht lang gehalten.
(Bei "immer, immer" muß ich immer, immer an einen Cartoon denken, den mir mal eine Mitbloggerin, Übersetzerin und Sprachdrechslerin, in einem Kommentar beschrieben hat: Ein Mann kommt zur Wohnungstür herein, im Flur steht ein Putzeimer, darin ein Hund, und der Mann denkt: "Immer, immer sitzt der Hund im Putzwasser, wenn ich heimkomme". Die Mitbloggerin bloggt leider lange schon nicht mehr. Den Cartoon würde ich gern mal sehen.)
Lieblingsschild auf dem Markt, an einem Stand mit mediterranen Spezialitäten: Kunuspirege meis körner.
Derweil Frühling, natürlich.
Derzeit lese ich viel von Tapferkeit und Heldentum im deutschsprachigen Netz. Und davon, daß ja andere Flüchtlinge, wiewohl männlich und wehrfähig, nicht ihr Land verteidigt, sondern sich in Sicherheit gebracht hätten.
Ich möchte keinem Menschen, der partout sein Land verteidigen will, dieses Recht absprechen. Aber ich bete zu allen Himmeln um Drückeberger, Verweigerer, Deserteure. Auf sämtlichen Seiten der Fronten.
"Energiesparen" kann man offenbar nur im Zusammenhang mit "Putin schaden" öffentlich vorschlagen.
Und: ich hoffe, auch die Menschen aus Russland, die jetzt fliehen müssen, finden Aufnahme und Hilfe.
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