Freitag, 18. Februar 2022

War ich wieder mal beim Friseur, also nicht dem üblichen, sondern bei der, die das gelernt hat, und habe gesagt: kurz, und: jaja, einfach machen, und: daß ich bloß keine Arbeit damit hab.

Erst ein Schrecken: die Silhouette meiner Mutter, Betonfrisur mit Fönbedarf.

Zwei Tage später aber dann sehe ich im Spiegel aus wie auf dem einen Foto, das ich von ihm kenne, mein Großvater, der polnisch fluchte und sich weigerte, zur Hochzeit meiner Eltern in die Kirche zu gehen (recht hatte er): graue Borsten wider Schwerkraft, Mode und Wahrscheinlichkeit grob nach oben starrend, überm Dickschädel noch restgelockt, und das gefällt mir dann doch sehr.

(Im Traum überreicht mir M eine Rose aus gelbem Papier, kunstvoll gefaltet, und zieht dann hüpfend und trällernd von dannen, was so un-M ist, daß ich mich selbst aus dem Schlaf lache.

In der Ruhe nach dem Sturm übt eine Amsel.)





Mittwoch, 16. Februar 2022

Meinen gewisperten Namen als Hilferuf verstehen und mich auf die Bettkante setzen ist eins, noch ehe ich wach bin. Was ich tun kann, ist wenig: Hand halten. Irgendwas sagen. Bis der Herzschlag ruhiger geht, bis die Nacht wieder Nacht ist und nicht mehr Fels auf der Brust.

Wie schmal der Grat ist; und wie mächtig eine Berührung. Trost und Betrübnis in einem.





Freitag, 4. Februar 2022

Durch die Gegend meiner ersten ausgedehnten Wanderungen werden Schneisen geschlagen. Zwar verläuft die neue Autobahn anderswo; aber das hier werden ihre Zubringer. Meine Mutter, noch Bauernkind genug, hätte den Kopf geschüttelt: So viel Land …!

Meine Abneigung gegen Zeit am Steuer ist körperlich; vorher tagelang Magendrücken, hinterher komplett erschlagen. Laune: schweigen wir davon. Das war schon in der Fahrschule so – ins Auto steigen mit Locken, ohne wieder raus.

Und falls heute jemand hinter mir in sein Lenkrad gebissen haben sollte: Nein, tut mir wirklich nicht leid. Ich hatte zu tun: aus einem 5,3-Liter- einen 5,1-Liter-Kleinwagen machen.





Montag, 24. Januar 2022

T schaut sich gern im Internet Reaction videos an: Leute filmen sich, wie sie Musik hören, die sie vorher nicht kannten. So ist T auf August Schram und die Videos von Little Big gestoßen, das hat sich schon mal gelohnt; aber, sagt er, früher, da hätt's das nicht gegeben. Freiwillig oder unfreiwillig: Alle hörten dasselbe Radio, sahen dieselben Sendungen mit denselben Starauftritten, summten die Top Ten mit.

Beim Fernsehen war es noch extremer. Wer die Vorabendserien nicht gesehen hatte, konnte auf dem Schulhof nicht mitreden. Ob man es nun mochte oder nicht: man kannte das Programm, schließlich gab es nur eines für die ganze Familie.

So hatte sich T als Halbwüchsiger Sachen angeschaut, erst aus Langeweile, dann, weil's ihn gepackt hatte: Kunst- und Dokumentarfilme, Klassiker, Oper, Theater, Stummfilme, alles. Einmal schaute er sich abends Solaris von Tarkowskij an, und seine Oma, häkelnd und ketterauchend und mit dem Opa schimpfend, guckte mit; irgendwann kritisierte sie: Ei, is des awwer dunkel, des is jo wie beim Fassbinder!

Die Vereinzelung des Medienerlebnisses, das immer feinere Aufspalten in Nischen und Ritzen, das kam mit dem Netz. Der gemeinsame Boden ist weg, sagt T. Das letzte, über das sich wirklich alle unterhalten können, ist das Wetter; und sogar das hat jetzt, je nach dem, wen man fragt, verschiedene Ursachen.





Mittwoch, 22. Dezember 2021

Im Ginkgo hinterm Haus hängt ein Meisenknödel, und den besucht jeden Tag ein Team aus Schwarzdrossel und Specht.

Der Specht hängt am Netz und pickt und bohrt die interessanten Dinge aus dem Fett; unten im Gras sammelt die Schwarzdrossel auf, was der Specht fallen läßt.

Man kann den Specht von allen Seiten betrachten, er hängt da wie ein Weihnachtsornament: weiße Brust, schwarzes Käppchen, rote Pluderhosen. Die Schwarzdrossel am Boden, ein Männchen, ist einfach nur schwarz; ich weiß aber, daß sie goldene Ringe um die Augen trägt.

Ob sich die beiden näher bekannt sind?





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